Victor Heringer, Die Liebe vereinzelter Männer
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Maria Hummitzsch. März-Verlag Berlin 2024. ISBN 978-3-7550-0039-6. 203 Seiten, 24,- €
Die Hauptfigur des Buches ist Camilo: Mitte 50 und schwul. Nach seiner Rückkehr nach Queím, dem Ort seiner Kindheit und Jugend, einem fiktiven Randbezirk Rios, lässt ihn die Vergangenheit nicht mehr los.
Sie führt ihn zurück in die 70er Jahre, in denen er wohlbehütet in einem Arzthaushalt aufwächst und von der Gewalt auf den Straßen und in den Folterkellern der Militärdiktatur nichts ahnte.
Erst später entdeckt er bei der Durchsicht alter Unterlagen, dass sein Vater als Arzt für die Folterer der Militärs arbeitete.
Aus der wohlbehüteten Welt seiner Kindheit auszubrechen gelingt Camilo erst, als sein Vater den schwarzen Waisenjungen Cosmo mit nach Hause bringt. Dieser zeigt dem durch einen Geburtsfehler gehbehinderten Camilo die Welt jenseits der schützenden Mauern seines Zuhauses – und Camilo findet in ihm seine erste große Liebe. Eine Liebe, die nicht erlaubt ist und vom Autor in ihrer zarten Intimität dargestellt wird. Die Beziehung der beiden Jugendlichen wird entdeckt und Cosmo Opfer der von Homophobie und Machismo geprägten Gesellschaft. Er wird brutal ermordet, der Täter jedoch weder verfolgt noch verurteilt. Camilo leidet sein ganzes Leben darunter.
„Die Liebe vereinzelter Männer“ ist ein außergewöhnlicher Roman – auch sprachlich: Er ist von poetischen Wortschöpfungen geprägt, die auch in der deutschen Übersetzung treffend wiedergegeben werden. Zudem verwendet der Autor Fotos, Dokumente, Zeichnungen und Namenslisten.
Victor Heringer ist ein Buch geglückt, das persönlich berührt und ein Brasilien zeigt, dessen
Gesellschaft die eigene Geschichte nie richtig aufgearbeitet hat.
Man hätte sich von ihm noch mehr nach diesem großartigen Buch gewünscht. Doch Victor Heringer, der sein Leben lang unter Depressionen litt, starb 2018 wenige Wochen vor seinem 30. Geburtstag. Auch das macht betroffen!
Christine Moser
BrasilienNachrichten 171/2025