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Gen-Eukalytus statt Cerrado

Im Osten des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso do Sul wird die in der Welt größte Eukalyptus-Zellulosefabrik gebaut. Das Projekt nennt sich schlicht „Cerrado“ nach dem artenreichen Waldökosystem, in dessen Region sich die künstlichen Holzplantagen aus dem Gen-Labor heute wie ein Lauffeuer ausbreiten.

Ein Bus nach dem anderen transportiert all morgendlich Tausende von Arbeiter aus der Gemeinde Ribas do Rio Pardo zur derzeit größten Baustelle Brasiliens. Eine kahlgeschlagene, planierte, mehrere Fußballfelder große, rot-sandige Ebene, auf der große in den blauen Himmel greifende Baukräne monströse Stahlgerüste und Produktionshallen errichten und gleichzeitig Strassenbaumaschinen asphaltieren was nur geht: Das ist das rund 4 Milliarden Euro kostende Zellstoff-Projekt „Cerrado“ von Suzano, dem bereits heute größten brasilianischen Zelluloseproduzenten. Die neue Fabrik soll jährlich 2,55 Millionen Tonnen des Papierrohstoffs aus genetisch manipulierten Eukalyptusbäumen liefern und damit die Gesamtproduktion Suzanos auf 13,5 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen.

Das von der brasilianischen Entwicklungsbank und der Landesregierung Mato Grosso do Suls geförderte Projekt hat mehr als zehntausend Bauarbeiter aus Süd- und Nordostbrasilien, aus São Paulo und aus Ländern wie Kolumbien, Venezuela, Kuba, Argentinien und Haiti in die ursprünglich rund 20.000 Einwohner zählende Gemeinde gebracht, die auf diese „Bevölkerungsexplosion“ nicht vorbereitet war. Bodenpreise und Wohnungsmieten schossen in die Höhe. Die von einem Drittunternehmen am Stadtrand aus dem Boden gestampfte Arbeitersiedlung mit 1280 Schlafplätzen ist dabei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. 

Dabei sind die Tage der Jobs auf dem Mega-Bau längst gezählt. Bereits im Juni kommenden Jahres soll die nur knapp zehn Kilometer von Ribas do Rio Pardo entfernte Fabrik fertiggestellt sein. Insgesamt werde der Betrieb der Anlage und der Holzplantagen laut Unternehmensmitteilung dann rund 3.000 Menschen dauerhaft beschäftigen, von denen die wenigsten aus der zuvor boomenden Baubranche stammen werden.

Der wichtigste Teil des Cerrado-Projekts indes ist der Rohstoff: Eukalyptus.

Schon heute breiten sich die uniformen Baumplantagen wie ein Meer in der Region aus. Das einst als „Land der Rinder“ bekannte Ribas do Rio Pardo und seine Nachbargemeinden wie Três Lagoas, Santa Rita do Pardo, Água Clara und Brasilândia sind seit einigen Jahren dominiert von Eukalyptus. Der Baumplantagen-Boom setzte in der Region ab Anfang 2000 ein und beschleunigte sich mit der Fertigstellung der ersten drei Zellstofffabriken in den Jahren 2009, 2012 und 2017 in Três Lagoas, von denen zwei Suzano gehören und eine dem Unternehmen Eldorado Brasil. 
Dort wo noch vor wenigen Jahren Jaguare und Pumas auf der Jagd nach Ameisenbären, Hirschen, Tapiren und anderem Wild durch intakten Cerrado-Wald streiften oder Rinder für Brasiliens Fleischkonsum grasten, stehen heute Eukalyptusstangen in Reih und Glied. Laut Vereinigung der Produzenten und Verbraucher von Holzplantagen (Reflore-MS) wurden bis heute insgesamt 1,4 Millionen Hektar in Mato Grosso do Sul mit Klonen der schnell wachsenden australischen Baumart bepflanzt. Weitere 300.000 Hektar Eukalyptusplantagen sollen nun noch in diesem Jahr hinzukommen: 822 Hektar pro Tag. 

Suzano selbst besitzt laut seinem aktuellem Waldbewirtschaftungsplans 

169.300 Hektar von ihm geschützten Cerrado-Wald, sowie 458.400 Hektar Eukalyptusflächen in der Region, die es für den Betrieb der neuen Fabrik bis Mitte 2024 auf 600.000 Hektar erweitern will. Zur Freude des Landesministerium für Umwelt, Entwicklung, Wissenschaft, Technologie und Innovation (Semadesc) von Mato Grosso do Sul werde sich Ribas do Rio Pardo damit zur „Eukalyptushauptstadt der Welt“ entwickeln.
Der Papierrohstoff aus Mato Grosso do Sul wird bereits heute in 36 Länder in Asien , Nordamerika, Mittelamerika, Südamerika, Europa, dem Nahen Osten und Afrika verkauft wobei der mit Abstand größte Abnehmer China ist. Im vergangenen Jahr importierte das Land 2,384 Millionen Tonnen.
Was Landesregierung und Zellstoffindustry feiern, ist für das Netzwerk gegen Grüne Wüsten (Rede Alerta contra os Desertos Verde) eine ökologische und soziale Katastrophe. Suzano sei für Cerrado-Abholzung, Umweltverschmutzung und Wasserknappheit sowie für die Vernichtung von fruchtbarem Boden verantwortlich, so das Netzwerk, das Holzmonokulturen als „Grüne Wüsten“ bezeichnet. „Die Ausweitung von Monokulturen und ihrer Logistik- und Industriekette führt zu einem Verlust von Artenvielfalt und Lebensqualität sowohl auf dem Land wie in der Stadt“, beklagt das Netzwerk.

 

Die Umweltschützer prangern insbesondere die - von der brasilianischen Regierung genehmigte - Pflanzung zweier genetisch manipulierter Eukalyptusarten von Suzano an: Die bereits 2015 genehmigte Sorte H421, die mehr Zellstoff je Hektar liefern soll, und die seit 2021 erlaubte Sorte 751K032, die so wie die vom Gen-Konzern Monsanto bekannte genetisch manipulierte Sojabohne resistent gegen das Totalherbizit Glyphosat ist. „Mato Grosso do Sul ist der Staat mit dem größten Eukalyptusanbau, hauptsächlich aufgrund der Steueranreize für Zelluloseunternehmen und der Verfügbarkeit von Land, das früher für die Viehzucht genutzt wurde“, erklärte Arbeitsrechtsanwalt Leomar Daroncho bei einem Symposium von Wissenschaftlern, Aktivisten und Betroffenen von Baummonokulturen und transgenen Eukalyptusplantagen vergangenen Juni an der Bundesuniversität von Mato Grosso do Sul (UFMS). „In weiten Gebieten wurde die einheimische Vegetation, der Cerrado, entfernt, um transgene Eukalyptus anzupflanzen.“ Kleinbauernfamilien und Rinderfarmen, die ihr Land noch nicht an die Zellulose-Unternehmen verkauften, sind heute von Monokulturen eingeschlossen und beklagen versiegende Bäche und Brunnen sowie regelmäßige Pestizidsprühungen durch die Plantagenbetreiber. Besonders dramatisch ist die Situation für die überlebenden des Ofayé-Volkes in der Nachbargemeinde Brasilândia. Ihr restliches 484 Hektar kleines Indigenenreservat ist umringt von Zehntausenden von Hektaren Eukalyptusmonokultur. Eine Cerrado-Insel im Holzplantagen-Meer, die zwar in 1990er Jahren als Indigenenterritorium demarkiert, aber bis heute nicht vom brasilianischen Staatspräsidenten „homologisiert“, sprich anerkannt ist.

„In kurzer Zeit erlebten wir die Ausweitung von Gen-Eukalyptus am Rande des Reservats. Wir sahen, wie unzählige einheimische Bäume, ein oder zweihundert Jahre alt, in wenigen Minuten maschinell gefällt und durch Eukalyptuspflanzen ersetzt wurden“, beklagte Ofayé-Häuptling Marcelo da Silva Lins während des Symposiums. Das Land werde jetzt immer trockener und das lokale Klima immer heißer. Laut einem Dezember 2022 veröffentlichten Bericht des Environmental Paper Networks (EPN), einem globalen Netzwerk von mehr als 150 Umweltschutzgruppen und Nichtregierungsorganisationen seien die schnell wachsenden Eukalyptus-Klone dafür bekannt dem Boden das Wasser zu entziehen. „Die enorme Ausweitung dieser Plantagen in Verbindung mit dem Klimawandel verwandelt das kontinentale Wasserreservoir der Region langsam in ein Dürregebiet. Die verbleibende natürliche Vegetation wird geschädigt, während traditioneller Landbau und Subsistenzlandwirtschaft unmöglich werden.“

Zudem erhöhe sich das Risiko von großen Flächenbränden. In Trockenzeiten könnten die Holzplantagen leicht Feuer fangen. Laut Daten des für die Waldüberwachung per Satellit zuständigen Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) vervielfachte sich ab 2018 die Zahl der Brandherde in der Eukalyptusregion von zuvor etwa 1000 bis 3000 Waldbränden pro Jahr auf über 10.000 Feuer im Jahr 2020. Insgesamt verbrannte damals 20.000 Hektar Eukalypusforst in Mato Grosso do Sul. Und schließlich vergifte der zunehmende Einsatz von Herbiziden wie Glyphosat oder gegen Blattschneiderameisen gerichtete Insektizide die Gewässer und bedrohe Tierwelt sowie die Lebensgrundlage der restlichen, noch nicht vertriebenen lokalen Bevölkerung.

Die Zellulose-Unternehmen geben in Brasilien in der Regel an, dass ihre Eukalyptusplantagen nicht natürliche Waldflächen, sondern vorher anderweitig landwirtschaftlich genutzte oder degradierte Farmen ersetzen. Eine 2013 veröffentlichte Studie der staatlichen Universität von Goiás indes belegt, dass zwischen 2002 und 2010 mehr als 61 Prozent der neuen Eukalyptusforste auf intakten Cerradogebieten entstanden sind. Lediglich 26 Prozent der Holzplantagen hätten Viehweiden und etwa 13 Prozent vorher anderweitig genutzte Flächen ersetzt. Im Vergleich zu den Jahren 2005 und 2011 habe sich die Eukalyptusfläche zu Lasten des Cerrado insbesondere in Mato Grosso do Sul mehr als vervierfacht, konstatiert die Studie.Wichtig dabei zu erwähnen ist auch, dass traditionelle Rinderfarmen im Cerrado deutlich weniger schädlich als industrielle Holzplantagen sind. Zum einen geben die Weideflächen mehr Lebensraum für die natürliche Tier- und Pflanzenwelt als die australischen Holzmonokulturen. Zum anderen holzen oder brennen die Viehzüchter zwar den Wald ab, lassen aber einige Schattebäume stehen und vor allem die Wurzeln der Bäume und Sträucher im Boden, was ein fundamentaler Unterschied ist. Denn der Cerrado ist ein seit Jahrtausenden an Flächenbränden angepasstes Ökosystem. Rund 70 Prozent seiner Biomasse liegen Feuer geschützt unter der Erde. Seine Pflanzen haben tiefreichende und mächtige Wurzeln, die große Mengen an Wasser speichern, um Flächenbrände und längere Trockenzeiten zu überstehen. Deshalb können sie nach einer Rodung wieder neu austreiben und das Ökosystem sich erholen. So manche in der Cerradoregion von Farmern als degradiert geltende Weide ist in Wirklichkeit sich regenerierender Cerrado.

Letztlich geben die großen Rinderfarmer ihren Job nicht einfach auf, nur weil sie ihr Land an die Zellstoffindustrie verkauft haben. Mit dem erzielten Gewinn erwerben sie in der Regel in anderen noch nicht abgeholzten Gebieten billigere Flächen, um neue Weiden anzulegen. Suzano indes sieht sich als Cerrado schützender Klimaretter. Für seine Holzplantagen sei in der Region kein Baum gerodet worden. „Bei Suzano verfolgen wir eine Politik der verantwortungsvollen Produktion und haben daher eine Null-Entwaldungspolitik eingeführt. Alle unsere Eukalyptuswälder liegen in Gebieten, die bereits von anderen Nutzpflanzen bestanden waren“, beteuert das Unternehmen. Der Eukalyptusanbau habe sich aufgrund der Umwandlung von zuvor landwirtschaftlich genutzten Flächen positiv für die Atmosphäre ausgewirkt, sagte Suzano-Direktor Aires Galhardo, in einem Interview mit dem „Portal Cululose“. Deshalb will das Unternehmen so wie andere Holzplantagenkonzerne mit Geldern aus dem internationalen Kohlenstoffhandel belohnt werden. „Eukalyptus wächst schnell und hilft dabei, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu absorbieren und so reinen Sauerstoff an die Natur zurückzugeben“, schreibt Suzano zu seinem Klimaschutzprojekt „Carbono Cerrado“ von Ribas do Rio Pardo. „Die Rolle der Eukalyptuswälder ist von grundlegender Bedeutung für die Bemühungen der Menschheit, die für die Erwärmung der Erde verantwortlichen Treibhausgase zu neutralisieren.“ Die gesamte Zellulose-Produktion basiere auf erneuerbaren Eukalyptusplantagen mit dem Ziel, die neue Fabrik in Ribas do Rio Pardo zu beliefern. „Die verwendeten Setzlinge werden mittels Klontechnologie erzeugt und verfügen über eine der fortschrittlichsten genetischen Grundlagen für die Bildung von Wäldern für die Zelluloseproduktion.“

Während die Bauarbeiten an der bisher weltgrößten Eukalyptuszellstofffabrik am Rio Pardo noch auf Hochtouren laufen, scheinen ihre Rekordtage aber bereits gezählt. Denn der chilenische Holz-und Zellstoffkonzern Arauco plant eine offensichtlich noch größere Anlage in der Nachbarschaft am Fluss Sucuriú. Es werde das größte Zelluloseprojekt der Welt sein und damit Suzano übertreffen, was enorme Chancen für Beschäftigung und Wachstum schaffe, sagte zur Projektankündigung im Vergangenen Jahr der damalige Gouverneur Mato Grosso do Suls, Reinaldo Azambuja. Der Beginn des Baus der neuen Zellstofffabrik nahe des etwa 8.400 Einwohner zählenden Städtchens Inocência am Rio Sucuriú ist für Januar 2025 geplant und soll maximal 12.000 Bauarbeiter in dieser Phase beschäftigen. Bis zu ihrer Inbetriebnahme im Jahr 2028 benötige das Unternehmen rund 380.000 Hektar Holzplantagen in der Region, wovon Arauco laut eigenen Angaben bereits 60.000 Hektar aufgekauft hat.

Noch fehlt zwar eine Umweltgenehmigung für das Sucuriú-Projekt, doch dies scheint nur noch eine Formsache zu sein. Denn auch neu der gewählte Landeschef, Eduardo Riedel von der Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB) und sein Minister für Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung, Wissenschaft, Technologie und Innovation, Jaime Verruck, begrüßen es über alle Maßen. Deshalb auch sind sie vergangenen Juni gemeinsam mit Amtsvorgänger und Parteifreund Azambuja zum Hauptsitz von Arauco nach Chile gereist, um, laut Regierungsmitteilung, die „fortschrittliche“ Technologie des chilenischen Konzerns aus erster Hand kennenzulernen.

Norbert Suchanek lebt und arbeitet als freier Journalist in Rio de Janeiro                                                                                                            BN 168/2023